Graduiertenkolleg 516
Kulturtransfer im europäischen Mittelalter

Angelika Zacher

Grenzwissen – Wissensgrenzen im Alexanderroman

Angelika Zacher Man könnte sagen, dass eines der Hauptthemen der Alexanderromane des Mittelalters der Kulturtransfer ist. Denn das Leben Alexanders des Großen zeichnet sich vor allem durch dessen Entdecker- und Eroberertätigkeiten aus. Er bereist fremde Länder, lernt fremde Völker kennen, sein Wissensdurst geht soweit, dass er schließlich sogar Himmel und Meer bereist. Natürlich existiert aber in diesen Texten noch kein Konzept von „Kulturtransfer“, und die fremden Welten und Wesen, denen Alexander begegnet, stehen meist für das, was nicht mehr begreifbar ist, was Angst macht und dem menschlichen Verstand eigentlich verborgen bleiben sollte. Problematisch gestaltet sich deswegen in mittelhochdeutschen Texten die Auseinandersetzung mit diesen Teilen der Alexandertradition.

Als Erkunder fremder Welten war Alexander Vertreter einer empirischen Form der Wissensvermittlung, die für das auf Traditionswissen basierende Mittelalter kaum darstellbar war. Seiner Figur eignet ein grenzüberschreitendes Moment, welches die „Statik der mittelalterlichen Wissenswelt“ in Gefahr brachte. Wegen seiner heilsgeschichtlichen Einbettung und Bedeutung als Exekutor des dritten Weltreichs musste man sich jedoch bereits früh mit ihm auseinander setzen. Frühe Bearbeiter des Alexanderstoffs versuchten, der Problematik der Alexandertradition durch geographische und epistemologische Begrenzungen des fremden Wissens und durch negative Wertung seiner Neugierde, „Curiositas“, beizukommen. Erst bei Ulrich von Etzenbach, der im 13 Jahrhundert den wohl umfangreichsten Alexanderroman schrieb, so meine These, zeigt sich ein neuer Umgang mit der Stofftradition, der weder auf „Moralisation“ noch auf Begrenzung des positiven Wissens zurückgreifen muss, um mit den Problemen umzugehen, die sich bei der Vermittlung des von der Alexandergeschichte propagierten, in seiner Fremdartigkeit faszinierenden Entdeckerwissens ergaben. Ulrich setzt bei der Vermittlung des Wissens an, ändert dessen Art und Qualität und macht es dadurch darstellbar.

Vor allem die im letzten Jahrzehnt erfolgten Fortschritte der mediävistischen Forschung zu „Fremdheitserfahrungen“ sowie intra- und intertextuellen Möglichkeiten literarischer Kommunikation unterstützen eine neue Herangehensweise an dieses Problemfeld. Die Wissenstradierungen und Texttraditionen vor allem im „Alexander“ Ulrichs von Etzenbach sollen als besonders aufschlussreiches Beispiel für Probleme von Wissensorganisation, -darstellung und -transfers in literarischen Texten im Hochmittelalter herausgearbeitet werden. Im Vergleich mit anderen zeitgleichen und späteren Alexanderromanen soll gezeigt werden, wie sich der Umgang mit dem Wissen über fremde Völker und Länder, über Wunder und Monster ändert und welche Rückschlüsse sich auf den Wandel des mittelalterlichen Kulturgerüsts und der Mentalität ziehen lassen.

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