Dr. J. Klaus Kipf
Studien zur Rezeption und Transformation humanistischer Fazetienliteratur im deutschen Sprachraum

Die Abhandlung (erscheint 2007) untersucht am Beispiel der humanistischen Fazetienliteratur, kurzer, pointierter Prosakurzerzählungen, und der Textsammlungen, die aus diesem Formtyp gebildet werden, wie lateinische literarische Kleinstformen im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit tradiert, rezipiert und transformiert werden. Die Geschichte der humanistischen Fazetienliteratur im deutschen Sprachraum wird als Specimen literarischen Kulturtransfers, des Transfers einer literarischen Gattung, rekonstruiert. Beginnend mit der (hier erstmals erschlossenen) Rezeption des in Italien entstandenen literarischen Prototyps, Poggio Bracciolinis ‚Liber facetiarum‘, in Handschrift und Druck seit ca. 1450, lassen sich auch die bald entstehenden eigenständigen lateinischen und zweisprachigen ‚Libri facetiarum‘ als Ergebnisse dieses Transferprozesses verstehen. Ihr erfolgreichster Vertreter, Heinrich Bebels drei Bücher starke Sammlung, ist programmatisch als deutsches (und schwäbisches) Gegenstück zu Poggio entworfen und steht damit im Kontext der national motivierten Eigenständigkeitsbehauptung des deutschen Humanismus gegenüber dem italienischen. Literarischer Kulturtransfer beschränkt sich hier nicht auf die Rezeption von Gattungsmustern und Sprachstandards, er bedeutet – wie stets – die Transformation des Vorgegebenen, in diesem Fall: die Aufnahme und Umformung (vorgeblich) autochthoner, mündlich oder schriftlich tradierter Erzählstoffe, die häufig personalisiert, lokalisiert und datiert sind, in die neue literarische Form.
Die Entwicklung der lateinischen Fazetiensammlungen als literarische Reihe wird erstmals durch das gesamte 16. und 17. Jahrhundert verfolgt. Dabei zeigt sich, daß die Geschichte der Fazetiensammlungen keineswegs – wie meist angenommen – mit dem Jahr 1600 abgeschlossen ist, sondern mehrere Fazetiensammlungen oder -teilsammlungen auch im 17., ja sogar im 18. Jahrhundert neu entstehen. Von diesem Ergebnis ausgehend betont die Arbeit die bislang übersehene Kontinuität (
longue durée) einer literarischen Tradition in Spätmittelalter und Früher Neuzeit.
Aktuelle Publikationen / Vorträge
Zwischen Wiedererzählen und Übersetzen. Übertragungen frühneuhochdeutscher Schwänke in neulateinische Fazetien und umgekehrt im Vergleich, in: Übertragungen. Formen und Konzepte von Reproduktion in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Britta Bußmann u. a., Berlin/New York 2005, S. 221–251.
„Pluto ist als vil als Lucifer“. Zur ältesten Verwendung gedruckter Marginalnoten in deutschen literarischen Texten (bis 1520), in: „Am Rande bemerkt“. Anmerkungen in literarischen Texten, hg. v. Bernhard Metz, Sabine Zubarik, Berlin 2007 (im Druck).
15 Artikel in: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, hg. v. Franz Josef Worstbrock, Bd. 1, Lfg. 1–3, Berlin/New York 2005–2007.
Vorträge zum Analogiebegriff in der theologischen Anthropologie des Mittelalters (2006, in Druckvorbereitung), zum Beginn der neulateinischen Komödie, bes. in Mitteldeutschland, zum Freundschaftsbegriff in humanistischen Korrespondenzen, zur Hagiographie im deutschen Humanismus (Elisabeth von Thüringen) und zum literarischen Prekariat um 1500 (alle 2007). Weitere Lexikon- und Katalogartikel im Druck.
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