Graduiertenkolleg 516
Kulturtransfer im europäischen Mittelalter

Arbeitsbereich A

"Transfer und Transformation der Orient-Vorstellungen im mittelalterlichen Weltbild"

A. Allgemeines

In der mittelalterlichen Theorie von der Gestalt der Erde ist die Verschiedenheit von Orient und Okzident konstitutiv. Der Orient galt als die privilegierte Weltgegend, von Ost nach West schien sowohl ein Kultur- als auch ein Naturgefälle immer schon gegeben: Im Osten hatte die Weltgeschichte begonnen und wanderte westwärts; der Osten besaß natürliche Reichtümer, von denen der Westen nur träumen, freilich auch Gefahren, vor denen er sich nur fürchten konnte. Die Lehre von der Gestalt der Erde lag seit der christlichen Spätantike fest und war in der Schulliteratur des Mittelalters verankert. Mit der Ausbreitung des Islam im 7./8. Jh. hatte der Orient indessen ein zusätzliches, von den Schulschriftstellern noch nicht registriertes Grenzprofil erhalten, das die universalgeographische Theorie und Praxis ständig in Unruhe hielt.

Auf den Orient projizierte man die eigenen, westlichen Wunsch- und Schreckbilder, so daß die Transformation des Orientbildes vom ‘Land der Wunder’ zur geographisch vermessenen Erdzone anscheinend alles andere als ein linearer Prozeß war und der Transfer von Orientalia immer einen besonderen Charakter behielt.

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